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Die Grille und der Maulwurf
aus: Janosch: Die Grille und der Maulwurf; 1979;
Beltz Verlag, Weinheim, Basel

Zum Hörbeispiel bitte hier klicken. (MP3 2.1 MB)

Eine Grille hatte den ganzen Sommer über nichts anderes getan, als auf ihrer Geige gefiedelt, weil ihr das so gut gefiel. Und auch für die anderen kleinen Tiere auf dem Feld zur Freude und zum Tanze. Und als dann der Winter kam, hatte sie nichts zu essen; denn sie hatte das Feld nicht bestellt, also auch keine Ernte. Hatte keine Vorräte gesammelt und sich keine warmen Handschuhe gestrickt. Hatte auch kein Winterhaus gebaut. Mit Ofen.

Der kalte Winterwind wehte durch ihr dünnes Kleidchen, o Gott, wie war das kalt.

Da ging sie zum Hirschkäfer. Der Hirschkäfer ist ja der Oberförster unten im Wald für die ganz Kleinen, und der Oberförster muss zu allen Tieren gut sein, wenn sie in Not sind. "Ob ich bei Ihnen vorübergehend kostenlos einen Winter lang wohnen könnte?" fragte die Grille. "Denn ich habe kein Haus."- "Waaas", rief der Hirschkäfer, "wohnen? Da kommen Sie mir gerade recht. Den ganzen Sommer über herumgeigen und anderen Leuten damit auf die Nerven gehen und dann auf meine Kosten leben wollen. Nein, nein, Mariechen, da wird nix draus. Leben Sie wohl."

Da trottete die arme Grille weiter durch den Schnee mit ihrer kleinen Geige unter dem Kleidchen und ging zu der Maus.

Die Maus wohnte in einer alten, grünen Gießkanne. Dort hatte sie so viele Vorräte gesammelt, dass sie drei ganze Winter davon hätte leben können. Und zwar nicht allein. "Ob ich da mal so ein bisschen bei Ihnen wohnen könnte?" fragte die Grille. "Mit meiner kleinen Geige nur für einen Winter vorübergehend. Kostenlos." - "Kostenlos", rief die Maus, "dass ich nicht lache. Erst den ganzen Sommer lang herumfiedeln und die Nachtarbeiter beim Schlaf stören und dann auf anderer Leute Kosten sich einen lustigen Winter machen wollen. Obendrein. Nein, nein, Mariechen, da gehen Sie mal schön wieder weiter. " Da stapfte die arme Grille weiter durch den tiefen Schnee. 0 Gott, war das kalt, und der Winterwind pfiff durch ihr dünnes Kleidchen. Es war zum Erfrieren.

Da ging sie zum alten Maulwurf, der in einer Kellerwohnung wohnte. Mit Ofen. "Oh, Besuch!" rief er, als er die Grille kommen hörte. "Kommen Sie nur näher", sagte er. "Lassen Sie sich befühlen, denn ich sehe so schlecht. Weil ich blind bin. Macht nix. Kommt von der schwarzen Erde hier unten, wo ich arbeite." Er erkannte die Grille sofort an ihrer kleinen Geige, denn er hatte im Sommer oft ihrem Gefiedel gelauscht. "Oh, spiel doch was, du", bat er sie, denn wer schlecht sieht, der hört um so lieber Musik, "und bleibe hier, ja?"

Die Grille blieb, und sie machten sich ein schönes, warmes Leben zusammen. Sie kochten sich gute Krautsuppe oder zwei süße Erbsen mit Speck. Sie lasen zusammen in der Waldzeitung und tranken Blaubeerwein. Der Ofen bollerte hinten, das Sofa war schön weich, und sie haben sich nie, nie, nie gezankt. An den Sonntagen frisierte sich der alte Maulwurf und zog sich sein schönes Vorhemdchen an. Damit er sich den Pelz nicht bekleckert. Oje, war das eine gemütliche Zeit. Wohl die schönste Zeit in ihrem ganzen Leben.